Bekannt wurde Keno als Teil des Duos Creme Fresh aus München, das er früher mit seinem Kollegen Fatoni bildete. Seit einigen Jahren rappt Keno als Frontmann bei der "Blaskapellen-Marching-Band" Moop Mama, welche vor wenigen Wochen ihr zweites Album veröffentlichte. Manch Münchner kennt die Jungs vielleicht von sogenannten Guerilla-Gigs, also spontanen Gratis-Konzerten im öffentlichen Raum, wie z.B. U-Bahn-Stationen oder Parks.
Wir haben Keno während einer Tourpause in seiner Heimatstadt München für ein Interview getroffen. Bei einem Coffee to go für über 2 Euro in nicht gerade bester Innenstadtlage haben wir ihn zur aktuellen Tour, Guerilla-Gigs, München, Bayern und die Welt befragt. Dabei haben wir festgestellt, dass Rapgenius vielleicht nur den Startschuss gibt auf der akademischen Laufbahn von Rap.
Der erste Teil euer Tour zu eurem zweiten Album ist vorbei, wie fällt euer Resümee aus? Hat sich etwas für euch verändert?
Auf jeden Fall vieles. Es ist generell immer spannend, auf Tour zu gehen, wenn man so viel neues Zeug im Programm hat. Wir spielen ja live auch alle Songs vom neuen Album. Man muss sich erst wieder die Routine schaffen, die man vorher schon hatte. Nach drei, vier Terminen ist man wieder so richtig drin und ich hab das Gefühl, dass jetzt durch das neue Album nochmal neue Leute hinzukommen.
In euren Anfangsjahren habt ihr öfter Guerilla-Gigs veranstaltet, in letzter Zeit hat man davon nur wenig gehört. Seid ihr nun einfach zu bekannt und füllt auch gegen Bezahlung die Hallen?
Im Moment haben wir relativ wenig Zeit, wenn wir so konstant auf Tour sind, nebenbei noch auf der Straße zu spielen. Im Winter machen wir das sowieso nicht, weil´s einfach zu kalt ist. Aber wir haben auf jeden Fall nicht vor, damit aufzuhören. Wir haben auch ein paar Ideen, wie wir in den nächsten Jahren vielleicht mal ein Projekt draus machen, aber da wissen wir noch nichts Konkretes.
Geht es euch dabei einfach um den Spaß am Spielen oder steckt hinter diesen Guerilla-Gigs noch mehr?
In erster Linie geht es schon um den Spaß, weil wir einfach Bock haben zu spielen. So ein bisschen Philosophie kam dann im Laufe der Zeit auch dazu, weil wir gemerkt haben, wie die Leute reagieren: In Deutschland ist ja sowas eigentlich überall verboten. Die Leute aber freuen sich meistens wahnsinnig, wenn man das tut. Das hat ein bisschen zu dem Gedanken geführt, dass man damit den öffentlichen Raum beleben kann. Meiner Meinung nach existiert in Deutschland sehr wenig echter öffentlicher Raum. In Wirklichkeit ist das alles eigentlich privater Raum, und selbst der öffentliche Raum wird behandelt, als würde er jemanden verkauft werden können. Wenn man sich umschaut und die ganze Werbung sieht, dann ist es eigentlich so, dass Menschen, die Geld haben, alles überall machen dürfen, wenn sie dafür bezahlen. Und jeder andere darf nichts dort machen, wie z.B. Aufkleber verteilen, Musik machen, egal was.
Ihr wurdet mehrmals vom Goethe-Institut eingeladen, bspw. im August nach Bozen, um dort auf einer internationalen Deutschlehrer-Tagung aufzutreten. Wie kam es dazu und was erhofft ihr euch von solchen Kooperationen im Bildungsbereich?
Das Goethe-Institut macht ja relativ mit deutschen Bands, auch schon mit Blumentopf und La Brass Banda. Ich schätze mal, dass über diese Ecke dann auch irgendwann der Kontakt zu uns kam, weil das ja doch der gleiche Dunstkreis ist. Ich denke, dass die immer Bands suchen, die deutsch texten und dabei irgendwie ein gewisses Niveau transportieren. Bisher haben wir mit denen ja nur so Sachen gemacht, dass wir die Möglichkeit bekommen haben, irgendwo im Ausland zu spielen. Wir sind da nicht irgendwie als Lehrer oder so angekommen und haben Workshops gegeben - wobei ich mir sowas auch gut vorstellen könnte -, aber für uns war das eher wie ein normales Konzert, im Ausland, und für die Kulturpflege. Passt ja gut zusammen.
Aus deinen Texten hört man eine gewisse Hassliebe zu München und Bayern heraus: In die "Stadt die immer schläft" schlenderst du durch ein langweiliges "Millionendorf, das gern eine Weltstadt wäre", in "Bullenwägen" äußerst du deinen Unmut über die bayerische Polizeipräsenz, andererseits tanzt du z.B im Video zu "Liebe" durch den Münchner Frühling. Bist du wirklich so hin- und hergerissen von deiner Heimat und würdest du München überhaupt als deine Heimat bezeichnen?
Ich würde wahrscheinlich schon zu beidem Ja sagen. Ich bin einfach generell ein Mensch, der hin- und hergerissen ist, was Heimat angeht: Ich fühl mich immer wieder an einem Ort zuhause, aber ich glaub, ich hab noch nicht das richtige Heimatgefühl gefunden. Ich bin einfach jemand, der sehr gerne unterwegs ist, möchte möglichst noch alles sehen, was ich sehen kann, solange ich die Möglichkeit dazu hab. Ich reise auch sehr viel, bin mit der Band unterwegs, und dann gibt´s eben hier so eine Verbundenheit: Ich mag München und ich bin hier gerne, gerne mit meinen Freunden zusammen. Die Heimat, die ich noch nicht gefunden hab, ist eher die Heimat in mir selbst: dieses richtige Gefühl, dass man irgendwo hingehört. Das stell ich auch immer wieder fest, dass das mehr eine Gefühlssache ist als eine Sache des Ortes.
In eurem Track "Stadt die immer schläft", womit offensichtlich München gemeint ist, überlegst du am Ende des Liedes, angekommen am Bahnhof, wofür du dein letztes Geld ausgeben sollst: "Ein Päckchen Marihuana oder etwa doch der letzte Zug nach Ljubljana?" Hat sich dieses Stadt einfach des Reimes wegen angeboten?
Nee, das ist nicht nur des Reimes wegen, sondern ich war in Ljubljana schon relativ oft, weil ich Slowenien unglaublich gerne mag und dort auch Freunde hab. Ljubljana ist für mich jetzt nicht sowas wie New York, ein Ort, den man mal gesehen haben muss, aber für mich schon ein bisschen das Tor zur Welt, weil ich schon öfters in die Richtung gereist bin. Ich bin letztes Jahr z.B. zweimal durch Osteuropa gefahren, einmal von Istanbul nach München und das andere Mal von München nach Athen. Mit Slowenien verbinde ich Fernweh, weil das so ein Land ist, wo bei mir zum ersten Mal dieses Fernwehgefühl aufgetaucht ist. Ich kann mich noch ganz erinnern, dass ich mal einen Urlaub mit meinem Vater gemacht hab nach Slowenien, vorher kannte ich das Land gar nicht. Da kann ich mich noch erinnern, wie wir in diesem Eck zwischen Österreich, Italien und Slowenien über die Berge kamen, runtergefahren sind, und dann wird plötzlich alles grün und überall kleine, wunderbare Berge, und dann hab ich mir gedacht: "Mann, wenn ich groß bin, will ich hier mal durchwandern."
In Bayern ist seit einigen Jahren zu beobachten und zu hören, dass wieder vermehrt in Dialekt gerappt wird oder "traditionelle" Instrumente benutzt werden, wie z.B. von La Brass Banda oder eben Moop Mama. Ihr seid z.B. auch in der Konzertreihe Heimatsound vom Bayerischen Rundfunk aufgetreten. Begrüßt du diese Entwicklung oder siehst du manchmal auch die Gefahr der Heimattümelei?
Das hat immer beide Seiten. Ehrlich gesagt bin ich jemand, den das eigentlich gar nicht interessiert, also diese Verbindung zu irgendwas traditionellem Bayrischem. Das ist ja bei uns gar nicht wirklich stark. Selbst die musikalische Besetzung unserer Band baut doch auf einer anderen Tradition auf, nämlich eher Richtung New Orleans Marching Band. Klar benutzen Blaskapellen dieselben Instrumente, aber die Verbindung dazu ist bei uns einfach nicht vorhanden. Wir haben keinen Song, wo auch nur annähernd ein Anklang an eine volkstümliche Musik drin ist. Unsere Grundlagen sind eher Funk und Jazz, HipHop einfach. Aber es ist natürlich trotzdem so, dass wir immer wieder mit in diese Schublade eingeordnet werden: weil wir halt aus München kommen, vielleicht auch mit La Brass Banda am Anfang ein bisschen zu tun hatten, wir haben ja Vorgruppe für die mal gespielt. Wir werden damit oft in Verbindung gebracht, aber ich weiß eigentlich gar nicht, warum.
Es ist jedenfalls nicht so, dass ihr ständig das Heimat-Etikett aufgedrückt bekommt?
Nee, so schlimm ist es denn auch wieder nicht. Ich glaub, dass es vielleicht auch oft so ist, dass man von außen kurz denkt: "Ah ja, das könnte so ne Bayern-Geschichte sein." Aber wenn man dann die Mukke hört, wird man gleich wieder woanders eingeordnet. Viele glauben uns auch gar nicht, dass wir aus München kommen. Wir haben es z.B. in Hamburg erlebt, dass irgendwer im Publikum gesagt: "Ja, toll, so was gibt´s in München halt nicht."
Hast du in diesem Zusammenhang auch darüber nachgedacht, selbst in bayeischem Dialekt zu rappen, sofern du ihn sprechen kannst?
Ich bin ziemlich dialektfrei aufgewachsen, weil meine Familie aus ganz unterschiedlichen Gegenden kommt und der Dialekt so verloren gegangen ist. Es wäre für mich nicht authentisch, ich bin einfach nicht so aufgewachsen.
Ein weiteres beliebtes Thema deiner Texte ist die Gentrifizierung einiger Münchner Stadtviertel. Erst kürzlich hast du im Rahmen einer Besichtigungstour der fiktiven Immobilienfirma "Goldgrund" ein satirisches Video zur "Aufwertung" des Glockenbachviertels gedreht, im Track "Latte Macchiatto" beschreibst du den Wandel eines Arbeiterviertels hin zum Künstlerviertel und schließlich Szeneviertel.
HipHop und Rap in seinen Ursprüngen war ja v.a. ein Sprachrohr, um soziale Missstände in der eigenen unmittelbaren Umgebung einem größeren Publikum kundzutun. Siehst du dich damit in einer Linie?
Das weiß ich gar nicht so allgemein, aber wenn du jetzt so fragst, würde ich schon ja sagen. Es ist jetzt nicht so, dass ich mir darüber Gedanken gemacht hab, aber für mich ist HipHop ein Sprachrohr. Ich habe keinen anderen besseren Weg, um den Leuten zu mitteilen, was ich denke, und umso besser, wenn es viele hören. Und ich denke, dass HipHop das schon für viele Leute ist. Ich habe es ganz oft erlebt, dass, wenn Leute anfangen Texte zu schreiben, eine Möglichkeit entdecken, ganz viel loszuwerden. Ob das jetzt eigene Emotionen sind oder Themen, die einen beschäftigen, oder Leute zu irgendwas aufzurufen: Das funktioniert alles. Seitdem ich regelmäßig Texte schreib, ist mir klar, dass ich nichts schreiben kann, was völlig erfunden oder weit weg von mir ist. Ich muss immer irgendetwas haben, was mich inspiriert, irgendwas, womit ich wirklich eine Verbindung hab.
Wie ist dein Eindruck von der Online-Plattform Rap Genius und was erhoffst du dir von solch einer Art, sich mit Rap zu beschäftigen?
Ich hab die Seite schon ein paar Mal besucht, hab mir auch schon ein paar Interpretationen durchgelesen und find es ziemlich spannend, was da so alles passiert. Nicht nur auf Rap Genius bezogen, sondern generell auf der Ebene, dass Leute aus eigener Energie sich im Internet so extrem detailreich mit Texten auseinandersetzen.
Rap ist ja bisher etwas, das man eigentlich nur selbst lernen kann. Aber ich hab mir schon oft darüber Gedanken gemacht - da z.B. Jazz oder Gesang auch an Schulen und Universitäten unterrichtet wird -, dass so etwas mit Rap auch gehen würde, nur fehlt dafür bisher noch das Vokabular. Wenn sich Menschen so eingehend mit Texten, mit Schemen, mit Techniken auseinandersetzen, denke ich schon, dass man nach und nach ein Vokabular erzeugen kann, mit dem man Inhalte transportieren kann, also technische Inhalte, um das den Leuten auch wieder zu vermitteln.
Beziehst du dich dabei nur auf die praktische Seite, also das Vermitteln von "Rapskills", oder auch auf den wissenschaftlichen Diskurs?
Ich denke, dass beides interessant und wichtig ist. Denn in dem Moment, in dem man solche Sachen explizit macht, und wenn man einfach ganz genau weiß, wovon die Rede ist, kann man sich auf eine ganz andere Art und Weise damit beschäftigen. Und man kann Techniken, die man aus Texten herauskristallisiert, auch theoretisch verstehen und dann vielleicht wieder umsetzen. Wobei ich andererseits auch sagen muss, dass es das meistens nicht ist: Nur weil man die Theorie verstanden hat, kann man´s nicht unbedingt anwenden. Deshalb gibt es ja immer eine große Kluft zwischen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit irgendetwas und der Praxis. Aber ich finde es auf jeden Fall spannend und ich find´s cool, wenn sich Leute so intensiv mit Texten auseinandersetzen. Wenn ich einen Text von mir interpretiert lese, dann freue ich mich einfach.