Reinhard Mey
So lange schon
Den Weg entlang der roten verwitterten Backsteinmauer
Über holpriges Pflaster, eher stolpern ist's als gehn
Durch das rostige Tor, noch tropfend von dem Regenschauer
In den verwunschnen Garten über schattige Alleen
Wir haben ein paar Flaschen kühlen Riesling mitgenommen
Der Korb mit einer Decke drüber liеgt im feuchten Gras
Mancher еrzählt, mancher verstummt, alle sind mitgekommen
Und mancher nimmt ganz vorsichtig schon mal ein kleines Glas

Wir streuen eine Handvoll Blumenblätter in den Sommerwind
Auf dunkelgrünen Efeu flattert rot leuchtender Mohn
Ein stiller Gruß, ein Lächeln für ein verlornes Kind
Du fehlst uns, du fehlst uns so lange schon

Der kleine Junge, stillvergnügt, turnt zwischen unsren Füßen
Und wie ein Welpe wuselt er im Kreis um uns herum
Er sagt, du hast es schön hier, und er sagt, wir soll'n dich grüßen
Jeder will etwas sagen, und jeder sagt es dir stumm
Und jeder hat dabei seine eignen Erinnerungen
Und bei den Bildern, die aus der Ferne herüberwehn
Sich tapfer zu einer Art Krokodilslächeln gezwungen
Das kann uns schon mal helfen, wenn die Worte uns ausgehn

Wir streuen eine Handvoll Blumenblätter in den Sommerwind
Auf dunkelgrünen Efeu flattert rot leuchtender Mohn
Ein stiller Gruß, ein Lächeln für ein verlornes Kind
Du fehlst uns, du fehlst uns so lange schon
Du bist in allen Fotos, Büchern, allen Gegenständen
Begegnest uns in allen Reden, sprichst aus jedem Satz
Du bist in allen Zimmern, du lebst in unsren vier Wänden
An jedem Tisch, den wir uns decken, hast du deinen Platz
Du bist ja immer unter uns, von Zuneigung umgeben
Geborgen und in unsrer Mitte, liebevoll umringt
Nun kommt, jetzt lasst uns trinken, auf die Liebe, auf das Leben
Und auf dein Lachen, das für immer in uns weiterklingt

Wir streuen eine Handvoll Blumenblätter in den Sommerwind
Auf dunkelgrünen Efeu flattert rot leuchtender Mohn
Ein stiller Gruß, ein Lächeln für ein verlornes Kind
Du fehlst uns, du fehlst uns so lange schon