Reinhard Mey
Maikäfer fliege
Einer von diesen Frühsommertagen
Die hell und voller Versprechen sind
An einen Baum gelehnt im Garten lagen
Wir, du und ich, Vater und Kind
Du wieseltest auf allen vieren
Zu der verwitterten Gartenbank
Und fandest eins von diesen Krabbeltieren
Und eine Kinderstimme sang:
Maikäfer fliegе
Dass ich dich nicht kriege!
Flieg hinaus ins wеite Land
Fliege fort von meiner Hand!
Noch einmal Tränen vor dem Kindergarten
Schultüten und so viel Begeisterung
Das Selbstbewusstsein kriegt die ersten Scharten
Und das Vertrauen einen ersten Sprung
Und immer wieder kommen Zeugnistage
Manchmal Kraftproben und Reiberei'n
Und jedes Wort erst mal auf die Goldwaage
Und Feilschen um die Zeit, zu Haus zu sein
Maikäfer fliege
Dass ich dich nicht kriege!
Flieg hinaus ins weite Land
Fliege fort von meiner Hand!
Die Zeit der Pflaster und der Schrammen
Auf deinen Knien liegt weit entfernt
Manchmal stehen wir beide stumm beisammen
Fliegen hast du längst gelernt
Dein Bleiben ist nur noch Verweilen
Gezählt und kostbar ist mir jeder Tag
Und jedes Schweigen, das wir teilen
Bis zum großen Flügelschlag