Reinhard Mey
Das Narrenschiff
[Strophe 1]
Das Quecksilber fällt, die Zeichen stehen auf Sturm
Nur blödes Kichern und Keifen vom Kommandoturm
Und ein dumpfes Mahlen grollt aus der Maschine
Und rollen und Stampfen und schwere See
Die Bordkapelle spielt „Humbatäterä“
Und ein irres Lachen dringt aus der Latrine
Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert
Die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert
Die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten
Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum
Und Elmsfeuer züngeln vom Ladebaum
Doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten

[Chorus]
Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken
Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken
Die Mannschaft lauter meineidige Halunken
Der Funker zu feig‘ um SOS zu funken
Klabautermann führt das Narrenschiff
Volle Fahrt voraus und Kurs auf‘s Riff

[Strophe 2]
Am Horizont wetterleuchten die Zeichen der Zeit:
Niedertracht und Raffsucht und Eitelkeit
Auf der Brücke tummeln sich Tölpel und Einfaltspinsel
Im Trüben fischt der scharfgezahnte Hai
Bringt seinen Fang ins Trockne, an der Steuer vorbei
Auf die Sandbank, bei der wohlbekannten Schatzinsel
Die anderen Geldwäscher und Zuhälter, die warten schon
Bordellkönig, Spielautomatenbaron
Im hellen Licht, niemand muss sich im Dunkeln rumdrücken
In der Bananenrepublik, wo selbst der Präsident
Die Scham verloren hat und keine Skrupel kennt
Sich mit dem Steuerdieb im Gefolge zu schmücken
[Chorus]

[Strophe 3]
Man hat sich glatt gemacht, man hat sich arrangiert
All die hohen Ideale sind havariert
Und der große Rebell, der nicht müd‘ wurde zu streiten
Mutiert zu einem servilen, giftigen Gnom
Und singt lammfromm vor dem schlimmen alten Mann in Rom
Seine Lieder, fürwahr: Es ändern sich die Zeiten!
Einst junge Wilde sind gefügig, fromm und zahm
Gekauft, narkotisiert und flügellahm
Tauschen Samtpfötchen für die einst so scharfen Klauen
Und eitle Greise präsentieren sich keck
Mit immer viel zu jungen Frauen auf dem Oberdeck
Die ihre schlaffen Glieder wärmen und ihnen das Essen vorkauen

[Chorus]

[Strophe 4]
Sie rüsten gegen den Feind, doch der Feind ist längst hier
Er hat die Hand an deiner Gurgel, er steht hinter dir
Im Schutz der Paragraphen mischt er die gezinkten Karten
Jeder kann es sehen, aber alle sehen weg
Und der Dunkelmann kommt aus seinem Versteck
Und dealt unter aller Augen vor dem Kindergarten
Der Ausguck ruft vom höchsten Mast: Endzeit in Sicht!
Doch sie sind wie versteinert und sie hören ihn nicht
Sie ziehen wie Lemminge in willenlosen Horden
Es ist, als hätten alle den Verstand verloren
Sich zum Niedergang und zum Verfall verschworen
Und ein Irrlicht ist ihr Leuchtfeuer geworden
[Chorus (x2)]

Und Kurs auf's Riff...