Reinhard Mey
Der Vater und das Kind
[Songtext zu „Der Vater und das Kind“]
[Strophe 1]
So eine von den großen Mehrzweckhallen
Noch zehn Minuten und die Vorstellung beginnt
Beim Eingang sind sie mir schon aufgefallen
Die zwei außen am Gang, der Vater mit dem Rollstuhlkind
Sie sind für einen Festtag angezogen
Gebügelt und gestriegelt und gekämmt
Cordsamtjackett wie aus dem Bilderbogen
Um mich zu hör'n, zerzaust in Hose und in Hemd
Im Dämmerlicht die Umrisse der beiden
Es ist als sagte er: „Schaut her, ihr sollt es alle seh'n“
Es mag gezeichnet sein von so viel Leiden
Doch seine Seele, die ist unversehrt und wunderschön
[Refrain]
Es ist ein eigenartiger, schöner Trost, den dieses Bild mir gibt
Dass man das schwächste seiner Kinder, das zerbrechlichste
Immer ein bisschen inniger, ein bisschen zärtlicher liebt
[Strophe 2]
Er hält das Kind im Arm während der Lieder
Nur im Applaus, da rühren sich die zwei manchmal
Mein Blick kehrt unwillkürlich immer wieder
Zurück zu ihren Schatten in dem dunklen Saal
Er hält das Kind den ganzen Abend über
Aus diesem Bild spricht so viel Zärtlichkeit
Es trägt so viel Wärme zu mir herüber
Wie tausend Feuerzeuge in der Dunkelheit
Er hat es fast drei Stunden so gehalten
Das Saallicht flackert auf, zerreißt den Scherenschnitt
Macht freundliche Gesichter aus dunklen Gestalten
Und ihre Lippen sprechen lautlos meine Zeilen mit
[Refrain]
Es ist ein eigenartiger, schöner Trost, den dieses Bild mir gibt
Dass man das schwächste seiner Kinder, das zerbrechlichste
Immer ein bisschen inniger, ein bisschen zärtlicher liebt
[Strophe 3]
Weißt du, manchmal wenn Selbstzweifel mich quälen
Wo in dem Singen und dem Schreiben ein Sinn liegen mag
Dann sind es Augenblicke wie dieser, die zählen
Mit diesem Bild vor deinen Augen gibt es keinen dunklen Tag