Reinhard Mey
Wenn’s Wackersteine auf dich regnet
Weißt du, wie der kleine Junge auf der Nordseeinsel tollte
Gleich am ersten Ferientag den Weg zum Strand erkunden wollte
Wie er sich umdrehte und dich übermütig jubelnd rief
Und dir zugewandt, lachend in den Stacheldrahtzaun lief
Siehst du noch, wie diese abscheulichen, messerscharfen Spitzen
Seine zarte Kinderhaut rechts unterm Ohr, am Hals aufritzten
Ein fingerbreit nur am Verhängnis ging der Schnitt vorbei
Auf Knien hast du ihn getröstet, als ob gar nichts gewesen sei
Wenns Wackersteine auf dich regnet, zähl die hellen Augenblicke
Zähl nicht deine Missgeschicke, zähl, womit dich das Leben segnet
Zähl, womit dich das Leben segnet
Wie war das, als sie dir ihren kleinen Hund in Obhut gaben
Und dich flehentlich "Pass nur gut auf ihn auf!" beschworen haben
Du hast so gut aufgepasst und doch ist er dir abgehau'n
Hat sich einfach durchgewühlt, die Bestie, unterm Gartenzaun
"Hey, bleib hier, du blöder Köter!", doch er ist schnell wie ein Wiesel
Und du sprintest hinterher, er läuft genau vor diesen Diesel
Reifen quietschen, weiße Wölkchen und der Riesenlaster hält
Manchmal ist verbrannter Gummi der schönste Geruch auf der Welt
Wenns Wackersteine auf dich regnet, zähl die hellen Augenblicke
Zähl nicht deine Missgeschicke, zähl, womit dich das Leben segnet
Zähl, womit dich das Leben segnet
Manchmal fühlst du dich von allen guten Geistern verlassen
Manchmal siehst du alle deine Glückssterne verblassen
Manchmal scheint dir ein Bündel schwer zu tragen
Dann zähl nicht deine Niederlagen, dein Versagen
Es steht in den Apostelbriefen, es steht in allen Glückstarifen:
"Es gibt im Leben keine Höhen, ohne Tiefen"
Denk dran, wie der Zöllner dich am Flugplatz Frankfurt durchgewunken
Hat, du kamst aus Amsterdam und hast so nach dem Zeug gestunken
Und dein Rucksack mit dem "Atomkraft - nein danke!- Logo barst
Randvoll vom Jahresbedarf des starken Rauchers, der du warst
Weißt du noch, wie du mit Rita für die Mathearbeit übtest
Voller Hingabe und wie du, der du kein Wässerchen trübtest
Mit ner glatten 6 vor Freude in die Luft gesprungen bist
Weil Rita vom Mathe üben nicht schwanger geworden ist
Wenns Wackersteine auf dich regnet, zähl die hellen Augenblicke
Zähl nicht deine Missgeschicke, zähl, womit dich das Leben segnet
Zähl, womit dich das Leben segnet