Reinhard Mey
Berlin tut weh
Ich hab' mit dir gelebt mein ganzes Leben
Ich kenn' dich in- und auswendig, scheint mir
Und all' meine Erinn'rungen verweben
Sich ganz mit deinem Namen und mit dir
Sie sagen, du tust gut, ich glaube eher
Du rührst mich, wühlst mich auf, wenn ich dich seh'
Du triffst mich tiefer, du gehst mir viel näher
Du tust mir weh!
Du tust mir weh!
Du malst dich an mit grellen bunten Farben
Sie schminken dich mit Oberflächlichkeit
Aber ich sehe jede deiner Narben
Und alle Schatten der Vergangenheit
Vergessen und verraten und geschunden
Wenn ich hinter deine Fassaden seh'
Ist mir's, als spürt' ich jede deiner Wunden
Du tust mir weh!
Du tust mir weh!
Staatsmann und Hinterbänkler, alle kamen
Mit großen Sprüchen und mit Prunk und Pracht
Und alle schmückten sich mit deinem Namen
Und gingen wie die Diebe in der Nacht
Es schmerzt zu sehen, wie sie dich missbrauchen
Für jede Lüge, für jedes Klischee
Um ihren Phrasen Leben einzuhauchen
Du tust mir weh!
Du tust mir weh!
Fast alle meine Freunde sind gegangen
Gewiss, manchmal verstehe ich sie gut
Ich habe nur zu sehr an dir gehangen
Mit meiner Trauer und mit meiner Wut
Wie oft verlasse ich dich in Gedanken
Und komm' kleinlaut zurück, bevor ich geh!
So stiehlt man sich nicht vom Bett eines Kranken
Du tust mir weh!
Du tust mir weh!
Du hast mich um ein Stück Freiheit betrogen
Mich, der nichts Teureres als Freiheit weiß
Doch immer hat es mich zu dir gezogen
Vielleicht kenne ich darum ihren Preis
Ich liebe dich, du Stadt mit allen Schmerzen
Und trage halt, wohin immer ich geh'
Einen Splitter von dir in meinem Herzen!
Du tust mir weh!
Berlin tut weh!