Reinhard Mey
Der Fischer und der Boss
Der Fischer lehnt am Ruderhaus und sieht über den Bug
Den wehenden Schaumkronen nach und folgt dem Wolkenflug
Der Kutter liegt im Hafen vorn und achtern gut vertäut
Ein Tief überm Atlantik, da kommt starker Tobak heut!
Er fährt bis zu den Färöern, kennt das Revier genau
Er fährt für Butt und Meeräsche, für Lachs und Kabeljau
Und manchmal für Touristen zum Dorschangeln, ein paar Meil'n
Die ihn gut bezahl'n, und im Weg rumsteh'n und sich an Land langweil'n
Aber bei diesem Wetter, da geht hier keiner mehr raus
Da bleibt selbst Ekke Nekkepen bei den Meerjungfrau'n - im Muschelhaus
Der Boss lässt halten und steigt aus und mit ihm ein ganzer Tross
Jeder kann sehn, da kommt nicht irgendwer, da kommt der Boss!
Der will einen Dorsch an den Haken, heut, nicht irgendwann
Und er zahlt den dreifachen Preis dafür, darauf kommt es nicht an
Der Fischer lacht: "Vielleicht nicht aufs Geld, aber aufs Wetter schon!"
Der Boss kennt keinen Widerspruch, nun gut: Fünffachen Lohn!
"Ich fahr' bei Wind und Wetter, doch was sich da zusammenbraut
Dafür, mein Herr, sind wir beide zu klein und mein Boot ist dafür nicht gebaut!"
Der große Boss und ein kleiner Fischer, der sich bockig stellt –
"Ich kauf' deinen ganzen Jahresfang und ich zahl' dir das - zehnfache Geld!
Zehnfaches Geld! Der Fischer sieht, wie der Rostfraß nagt am Boot
Öl leckt aus der Maschine, ein neuer Anstrich tut not
Zuhaus muss neues Reet ins Dach, das wartet zu lange schon
Und kaum zwei Wochen, dann hat die Jüngste Konfirmation
Dann lädt er nach der Kirche in den Dorfkrug, welch ein Fest
Wenn er die feinsten Speisen und Weine auftragen lässt -
Dabei der größte Steinbutt, den er je gefangen hat
Doch vorher fährt er noch mit der jüngsten Tochter in die große Stadt
Und kauft das schönste Kleid für sie, sie soll die schönste sein!
Zehnfaches Geld! Der kleine Fischer reicht dem großen Boss die Hand: "Schlag ein!"
Leinen los, vorn und achtern klar und volle Kraft voraus!
Und kaum in Luv der Mole geht über das Steuerhaus
Die erste schwere See, noch schüttelt sich das Boot, da hetzt
Die nächste schon heran vom Sturm der Wellenkamm zerfetzt
Die wirft den stählernen Rumpf hoch empor, der Motor klagt
Und heult auf unter Qualen, wenn die Schraube ins Leere ragt
Stürzt ihn hinab ins Wellental, und schlägt ihn krachend auf
Und hebt ihn aus den Abgründen zum nächsten Sturz hinauf
Jetzt tobt die Hölle richtig los! Das Boot rollt, stampft und krängt
Und es ist längst nicht mehr das Steuer, das seinen Weg durch die Fluten lenkt
Jetzt brechen alle Wetter zugleich über das Boot herein
Ein letzter Schlag zerschmettert ihm das stählerne Gebein
Ächzend bersten die Planken, dann verschlingt der schwarze Schlund
Das Ruderhaus und Mann und Maus reißt es mit auf den Grund
Zwei Seenotkreuzer finden Tags drauf einen Rettungsring
Und eine Ölspur im Revier, wo das Boot unterging
Im Großformat trauert in allen Zeitungen sein Tross
Ein Requiem, und große Reden für den großen Boss
Und Sonntag ist Palmarum und im Fischerhaus am Meer
Sind die dunklen Fenster wie erloschene Augen, müdegeweint und leer