Reinhard Mey
Aus meinem Tagebuch
Montag, der sechste Januar
Draußen liegt alles tief verschneit
Das Wetter scheint mir doch zu klar
Tau'n wird's wohl nicht in nächster Zeit
Wir spielen Karten seit heut' früh'
Der Vorarbeiter sieht uns zu
Während ich aufsteh', Kaffee brüh'
Mogelt Antonio immer zu
Ich will nach Haus, ich hab' genug
Ich bin schon viel zu lange hier
Ich springe auf den nächsten Zug
Und lasse alles hinter mir
Donnerstag, der fünfzehnte Mai
Heut' kam Post für den alten Frank
Ein Brief und ein Photo dabei
Er klebt es grad in seinen Schrank
Ich wüßte gerne, was macht ihr?
Mein Bruder schreibt schon lang nicht mehr
Und dass ich Post bekam von dir
Ist auch schon ein paar Wochen her
Ich will nach Haus, ich hab' genug
Ich bin schon viel zu lange hier
Ich springe auf den nächsten Zug
Und lasse alles hinter mir
Mittwoch, der zwanzigste August
Der alte Frank hat schlappgemacht
Die Hitze schlägt ihm auf die Brust
Sie haben ihn zum Arzt gebracht
Der Spanier putzt sein Grammophon
Der Vorarbeiter schuldet mir
Noch einen halben Wochenlohn
Und Sergio noch drei Flaschen Bier
Ich will nach Haus, ich hab' genug
Ich bin schon viel zu lange hier
Ich springe auf den nächsten Zug
Und lasse alles hinter mir
Sechster November, Donnerstag
Arbeit bis Sonnenuntergang
Kürzer die Zeit von Tag zu Tag
Und schien mir dennoch nie so lang
Ich war am Bahnhof, um zu sehn
Ob es schon für die Karte reicht
Dann blieb ich vor der Sperre stehn
Mein Mut hat wieder nicht gereicht
Ich will nach Haus, ich hab' genug
Ich bin schon viel zu lange hier
Ich springe auf den nächsten Zug
Und lasse alles hinter mir